„Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, liebe Leserinnen und Leser!“
An diese Art der Ansprache sind wir gewöhnt. Doch wie weit soll die sprachliche Gleichbehandlung gehen? Über die Frage gibt es immer wieder hitzige Debatten. Der Verein Deutsche Sprache etwa findet es ‚lächerlich‘, dass in der Straßenverkehrsordnung seit einigen Jahren von ‚Fahrzeugführenden‘ anstelle von ‚Fahrzeugführern‘, von ‚Radfahrenden‘ anstelle von »Radfahrern« die Rede ist.
Das Wort ‚Fahrzeugführer‘ oder ‚Radfahrer‘ diente an dieser Stelle als generisches Maskulinum. Das bedeutet: Grammatikalisch gesehen ist das Wort männlich, aber gemeint sind damit beide Geschlechter – zumindest theoretisch. „Es hört sich allerdings anders an“, gibt der Psychologe Christian Müller von TÜV Nord zu bedenken. „Zahlreiche Studien belegen, dass wir bei solchen Wörtern vor allem an Männer denken.“
Nachgewiesen wurde das vor allem für Berufsbezeichnungen, bei denen die männliche Form den Prototypen darstellt. In vielen Professionen waren einst tatsächlich nur Männer erwünscht. Gebraucht als generisches Maskulinum soll ‚der Arzt‘ heute dennoch auch Frauen umfassen. Das gelingt aber nicht, denn das grammatikalische Geschlecht weckt unwillkürlich eher die Vorstellung von einem Mann. Gendergerechte Sprache soll dieses gedankliche Ungleichgewicht korrigieren. Das funktioniert: Spricht jemand explizit von Arzt und Ärztin, so entsteht im Kopf ein Bild von beiden Geschlechtern.
Sprachliche Neuerungen stoßen jedoch häufig auf Ablehnung. Kaum etwas geht derart in Fleisch und Blut über wie die Worte, mit denen wir uns die Welt zu eigen machen. Das erklären Psychologinnen und Psychologen mit einem bekannten Phänomen, dem Mere-Exposure-Effekt: Wenn uns etwas vertraut ist, mögen wir es lieber als das unvertraute Fremde.
Verteidigt wird das generische Maskulinum häufig mit dem Argument, es sei kürzer, weniger umständlich und mithin leichter verständlich als gendergerechte Varianten. Letzteres wurde kürzlich in einem Experiment an der TU Braunschweig überprüft: Studentische Versuchspersonen bekamen den Vertrag eines Stromversorgers zu lesen, entweder mit Personen im generischen Maskulinum (‚Kunde‘, ‚Kontoinhaber‘) oder ergänzt um weiblichen Formen (‚Kundin‘, ‚Kontoinhaberin‘). Ein statistisch bedeutsamer Unterschied in Sachen Verständlichkeit ließ sich nicht nachweisen.
Umstritten sind auch Versuche, Verkehrszeichen gendergerecht zu gestalten. An manchen Kreuzungen etwa wurden defekte Ampelmännchen durch Ampelmädchen ersetzt. Die stilisierten Figuren mit Rock und Zöpfen bedienen zwar ein Klischee. „Doch ohne die weiblichen Attribute erscheinen vermeintlich geschlechtsneutrale Figuren männlich“, erklärt Christian Müller.
Problematisch sind vielmehr die Geschlechterstereotype auf manchen Verkehrszeichen, etwa eine Frau mit Kind an der Hand als Symbol für Fußwege. „Im Vergleich zu Männern werden Frauen im Alltag häufiger im Kontext einer Familie und seltener in beruflichen Rollen dargestellt“, berichtet der Psychologe Christian Müller. Das traditionelle Frauenbild grenze die Rollen, Talente und Möglichkeiten ein, die Frauen und Männer mit dem weiblichen Geschlecht assoziieren. „Das trägt zu ungleichen Karrierechancen bei.“
So sieht es auch die ‚League of European research universities‘, ein Zusammenschluss führender europäischer Universitäten. Dass Frauen in den Wissenschaften auf dem Weg nach oben stecken bleiben, führen sie auf einen ‚Bias‘ zurück, also einen von Vorurteilen verzerrten Blick, der Frauen berufliche Nachteile bringt.
Schon in den Siebzigerjahren demonstrierte ein Experiment: Wenn Grundschulkinder Werbung sehen, die anstelle einer traditionellen Hausfrau eine Physikerin zeigt, dann verändert sich ihr Frauenbild zugunsten einer gleichberechtigten Rollenverteilung. Allerdings hält der Erfolg nur kurze Zeit an, wie Psychologinnen von der Universität Tromsø in Norwegen feststellten. Denn einzelnen Maßnahmen steht eine Übermacht tradierter Rollenbilder im Alltag gegenüber, denen zufolge sich in erster Linie Frauen um die Kinder kümmern. „Deshalb brauchen wir Gendergerechtigkeit in allen Lebensbereichen – auch im Straßenverkehr. „Dafür bedarf es wohl noch vieler neuer Schilder, auf denen ein Mann einen Kinderwagen schiebt.“
(TÜV Nord Group)